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Die Zeit    16.10.2000
Halten, halten, halten - super!
Das Ende aller faulen Ausreden. Fitness auf die mobile Tour:
Der Personal Coach kommt ins Hotel
Keine Chance heute für dich, Schweinehund. Ich kenn dich doch. Dich
und deine miesen, leisen Fragen. Was - zum Training, so spät noch?
Wie - jetzt auch noch umziehen, in die Leggings, diese klobigen
Aerobic-Schuhe . . . ? Heute bist du still, was? Heute abend ist
alles anders. Ich stehe im Hotel, unten in der Lobby. Es ist kurz
vor 20 Uhr, und plötzlich sagt eine Stimme hinter mir: Hallo! Ich
bin der Daniel. Daniel Hönow ist heute Abend mein Personal Coach.
Für die nächsten zwei Stunden habe ich einen Trainer ganz für mich
allein. Meine Erwartung Neugier, leichte Unruhe, beschleunigter
Puls. Was wird er mit mir machen? Bin ich fit genug für einen durchtrainierten,
1,95 Meter großen Profi? Die Mitarbeiterin an der Rezeption blickt
uns nach, und schon wird mir etwas warm. So viel vorweg: Ein Personal
Coach ist Luxus. Für mich. Für manche aber, und zwar nicht bloß
den bodyhysterischen Hollywood-Set, ist es schon Routine- nämlich
die Kunden von Health Performance. Die Münchner Agentur vermittelt
Privattrainer für Menschen, die zwar laufend unterwegs, aber zu
wenig in Bewegung sind. Mobile Trainer für mobile Kunden - Berater,
Projektleiter, Vertriebsleute (m/w). Das ist die Idee. Und die Praxis?
Hönow trödelt nicht lange herum. Um ein herkömmliches Hotelzimmer
zu einer Art Studio umzubauen, braucht er keine fünf Minuten. Sessel
kopfüber auf die Betten gekippt, Schreibtisch zur Seite. Fenster
auf, Hanteln raus, Thera-Band, Stepper, Matte auf den Teppich. Vielleicht
noch Musik vom Band dazu? "War mir doch ein bisschen peinlich. Das
erste Mal dachte ich: Na ja, dies dumme Gummiband . . .", erinnert
sich Volker T. Wiegmann, der seit zwei Jahren mit Health Performance
seine Form verbessert. Der Geschäftsführer der Unternehmensberatung
Roland Berger pendelt zwischen Düsseldorf, Stuttgart und Berlin,
und wie gerufen kommen seine Trainer zu ihm, in allen drei Städten.
Seine Sekretärin hat die Anweisung, jede Woche mindestens 90 Minuten
dafür im Terminkalender zu reservieren. Mal in Stuttgart, morgens
um 7, dann in Berlin, abends um 21 Uhr. "Das Einzige, was ich tun
muss, ist, den Jogginganzug und die Schuhe einzupacken." Es geht
lost Wie geht es los? Ziemlich locker. Schultern kreisen lassen.
Nach vorn, nach hinten, und dann die Gegenrichtung. Den Atem dabei
ruhig fließen lassen. Ich lerne, was eine Lippenbremse ist. Das
hilft gegen das Hyperventilieren. Ah ja? Daniel ist Physiotherapeut,
hat eine Trainerlizenz und ziemlich viel Ahnung. Kennt alle Muskeln
mit lateinischem Namen, weiß um die Geheimnisse der Atmung und hat
verschiedene Methoden drauf, einen Krampf zu lösen.
Mit 60 aussehen wie 40? Dann fang mit 30
an Seine wichtigste Klientel: Die nicht mehr ganz frische Führungskraft.
Muss ja dringend was für sich tun. Raucht zu viel, hat Übergewicht
und kommt schnell aus der Puste. Was ja gar keinen dynamischen Eindruck
macht. So hat sich unter diesen Zeitgenossen inzwischen eine folgenschwere
Erkenntnis breit; gemacht: Wenn du mit 60 aussehen willst wie Mitte
40, musst du mit 30 anfangen, etwas zu tun. Ein Personal Trainer,
der überall zur Verfügung steht, hat zur Folge, dass das übliche,
sonst beruhigend zuverlässige System der Ausreden außer Kraft gesetzt
wird. Kein "Habe absolut keine Zeit", "Bin doch ständig unterwegs".
Entfällt. Ersatzlos gestrichen. Es ist auch schon vorgekommen, dass
der umtriebige Unternehmensberater Wiegmann Risikokandidaten, die
ihm ins Auge fallen, zur Seite nimmt: "Sie müssen was für sich tun."
Wie denn, was denn?, fragen die dann nach. Und schon haben sie diese
Münchner Telefonnummer Was folgt, ist ein gründlicher Bodycheck
beim Sportmediziner mit Messung des Lungenvolumens, Körperfettanalyse
und Laktattest. Nächster Schritt: Der frisch Bekehrte und sein Trainer
vereinbaren ein Ziel, dazu einen Zeitrahmen, in dem s erreicht werden
soll. "Ich will eine halbe Stunde laufen können, ohne aus der Puste
zu kommen." - "Ich will meinen Kreislauf stabilisieren." Und, am
häufigsten: "Ich will abnehmen." Ist das realistisch? Wenn ja, wird
alles schriftlich festgehalten. Diesen Pass nimmt der mobil Trainierte
dann mit auf die Reise zu seinen Betreuern. Zur Erinnerung. Als
Ansporn. Mit Daniel Hönow könnte ich auch eine Runde um die Alster
laufen. Oder mein Handicap verbessern. Oder gezielt Muskelaufbau
an Maschinen trainieren. Oder schwimmen. Walken. Marathon üben.
Im Fitness-Studio, draußen oder zur Not im Konferenzraum des Hotels.
Wir aber haben uns für ein Rundum-Ausgleichstraining entschieden.
Bauchlage. Das Thera-Band umgreifen, mitgestrecktenArmen, dann die
EIlbogen U-förmig bis auf Kopfhöhe nach außen ziehen. Ich übe, er
korrigiert. Ganz anders als im Pulk: Wann erkennt die Trainerin
im Studio schon mal, dass ich mir in der dritten Reihe die Sache
etwas leichter mache ...? Daniel hingegen erklärt mit einer Art
Hypnosestimme, die jegliche Verweigerung abwegig erscheinen lässt,
worauf es ankommt. Folgt das Bodenprogramm. Die Beine angewinkelt,
Füße aufstellen, Arme hinter dem Kopf verschränken. Und jetzt den
Oberkörper anheben. Ganz wenig. Das reich tschon, wieder senken.
Aber nicht ablegen. O. k. Und was ist mit dem verspannten Schultergürtel?
Mit der ungelenken Halswirbelsäule? Mit der leicht hochgezogenen
linken Schulter? Kommt alles dran. Schau nach links. Ohr zur Schulter.
Nicht die Schulter hochziehen. Genau. Versuch, die Spannung zu halten.
Halten, halten, halten - super. Hönow selbst muss das trainiert
haben: diese Mischung aus Unerbittlichkeit und Verständnis. Seine
Klienten, die immerzu anderen sagen, wo es lang geht, die Druck
machen, steuern und feuern, haben damit anfangs schon mal Probleme.
Heikles Terrain: Hier sollen sie tun, was der andere sagt. Kontrollverlust
droht. Angst kommt dazu: Ich könnte mir was verrenken. Ich könnte
umkippen. Und, das Schlimmste: Dieser Kerl da ist besser als ich.
Viel besser. "Da laufen merkwürdige Dinge ab", erinnert sich Volker
Wiegmann. Konkurrenzgekrähe in Sachen Körperkult. Ungern wird zugegeben,
dass manches hängt und schlabbert, was sich sonst einigermaßen verbergen
lässt. "Allerdings kann ja niemand 90 Minuten in Bauch einziehen,
stellt Wiegmann fest, lachend. Kommen Sie in Versuchung, den Trainer
als Berater oder Seelentröster zu beschäftigen? Um Himmels willen,
wehrt er ab. Alles rein sportlich, Ende. Hönow sieht das ein bisschen
anders: Doch, manche seiner Kunden spüren in dieser konzentrierten
Zweisamkeit eine Nähe, fassen Vertrauen und werden gesprächig. Da
heißt es mitunter leicht gegensteuern. Sonst wird es für beide Seiten
etwas eng, und die Luft zum Atmen fehlt. Seitenlage. Das untere
Bein angewinkelt. Das obere Bein heben und senken, Ferse zur Decke.
Nicht mit dem Becken nach hinten kippen, oh nein. Jetzt die Steigerung:
das Fußgelenk oben drehen, Ferse, Fußspitze und zurück. 15-mal,
20-mal. Reicht es? Es reicht. "Dann noch 5", ordnet Hönow fröhlich
an. Und zählt, damit ich nicht abschlaffe: Vier, drei, zwei, eins
- genau! Das oberste Gebot heißt: Rücksicht auf die individuellen
Bedürfnisse, die ganz spezielle Konstitution, dann lässt der Trainer
auch schon mal das Sportprogramm sausen. Stattdessen wird Verwöhnung
pur geboten: Massage und autogenes Training. Aaah. Muss gut tun.
90 Minuten - nein. Das war doch höchstens eine halbe Stunde. Als
ich aus der Dusche komme, ist mein Privattrainer schon fort. Das
Hotelzimmer sieht aus wie jedes andere. Hallo - Schweinehund? Keine
Antwort. Dieser Abend mit David muss ihm die Sprache verschlagen
haben.
Anna von Münchhausen
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